18. November 2024

Erster Nachweis von Top-Quarks bei Kollisionen schwerer Ionen Erster Nachweis von Top-Quarks bei Kollisionen schwerer Ionen

Messung am CERN öffnet ein neues Fenster zur Erforschung des frühen Universums

In einem Vortrag am CERN wurde letzte Woche von der ATLAS-Kollaboration der Nachweis von Top-Quarks in Blei-Ionen-Kollisionen erstmals verkündet. Mitglieder der Forschungsgruppe von Prof. Dr. Matthias Schott vom Physikalischen Institut der Universität Bonn waren an dieser Messung beteiligt, die einen bedeutenden Fortschritt in der Physik von Schwerionenkollisionen darstellt. Der Nachweis der Top-Quark-Paare ebnet den Weg für neue Messungen des Quark-Gluon-Plasmas, das bei diesen Kollisionen entsteht, und liefert neue Erkenntnisse über die Natur der starken Kraft, die Protonen, Neutronen und andere zusammengesetzte Teilchen zusammenhält.

Darstellung einer Blei-Blei-Kollision bei 5,02 TeV pro Nukleonenpaar dar, in der ein Top-Quark-Paar entstanden sein könnte, die dann in andere Teilchen zerfallen ist.
Darstellung einer Blei-Blei-Kollision bei 5,02 TeV pro Nukleonenpaar dar, in der ein Top-Quark-Paar entstanden sein könnte, die dann in andere Teilchen zerfallen ist. - Das Ereignis enthält vier Teilchenjets (gelbe Kegel), ein Elektron (grüne Linie) und ein Myon (rote Linie). Die Einblendung zeigt eine axiale Ansicht des Ereignisses. © Abbildung: ATLAS/CERN
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Der Large Hadron Collider (LHC) ist wie eine ungeheuer leistungsfähige Küche, in der einige der seltensten und heißesten Rezepte des Universums zubereitet werden, wie das Quark-Gluon-Plasma (QGP), ein Materiezustand, von dem bekannt ist, dass er kurz nach dem Urknall existierte. Während der LHC hauptsächlich Protonen kollidieren lässt, werden einmal im Jahr auch schwere Ionen – wie z. B. Bleikerne – kollidiert – eine wichtige Zutat für die Zubereitung dieser Ursuppe. Im Quark-Gluon-Plasma sind die fundamentalen Bestandteile von Protonen und Neutronen – Quarks (Materieteilchen) und Gluonen (Träger der starken Kraft) – nicht in Teilchen gebunden, sondern existieren in einem "freien" Zustand der Materie, der eine nahezu perfekte, dichte Flüssigkeit bildet. Forschende gehen davon aus, dass das Quark-Gluon-Plasma das Universum kurz nach dem Urknall erfüllte, und seine Untersuchung bietet einen Einblick in die Bedingungen dieser frühen Phase der Geschichte unseres Universums.

Die extrem kurze Lebensdauer des Quark-Gluon-Plasmas, das bei Schwerionenkollisionen entsteht – etwa 10-23 Sekunden – bedeutet jedoch, dass es nicht direkt beobachtet werden kann. Stattdessen untersuchen Physikerinnen und Physiker Teilchen, die in Schwerionenkollisionen entstehen, das QGP durchqueren und deswegen wichtige Einblicke in die Eigenschaften des QGP geben. Das Top-Quark spielt dabei eine ganz besondere Rolle: "Das Top-Quark zerfällt schneller in ein W-Boson und ein Bottom-Quark als die Zeitdauer, die zur Bildung des Quark-Gluon-Plasmas benötigt wird. Die Zerfallsprodukte des W-Bosons beginnen jedoch erst später mit dem Plasma zu wechselwirken", erklärt Matthias Schott, "Dadurch können wir das Top-Quark als eine Art Zeitmarker verwenden, was uns die einzigartige Möglichkeit gibt, die zeitliche Entwicklung des Quark-Gluon-Plasmas zu untersuchen".

Für ihr neues Ergebnis untersuchten die ATLAS Forscherinnen und Forscher Kollisionen von Blei-Ionen, die bei einer Kollisionsenergie von 5,02 Teraelektronenvolt (TeV) pro Nukleonenpaar während des zweiten Laufs des LHC von 2015 bis 2018 stattfanden. Sie beobachteten die Top-Quark-Produktion im "Dilepton-Kanal", bei dem die Top-Quarks in ein Bottom-Quark und ein W-Boson zerfallen, das anschließend entweder in ein Elektron oder ein Myon und das zugehörige Neutrino zerfällt. Das Ergebnis hat eine statistische Signifikanz von 5,0 Standardabweichungen und ist damit der erste Nachweis von Top-Quark-Paaren in Kern-Kern-Kollisionen.

Die Beobachtung wurde durch die präzisen Lepton-Rekonstruktionsfähigkeiten von ATLAS in Verbindung mit einigen anderen Elementen ermöglicht. Dazu gehören die Größe der bisher gesammelten Datenmengen, die datengestützte Abschätzungen von Untergrundprozessen, die das Signal imitieren könnten, neue Simulationen von Top-Quark-Ereignissen und spezielle Jet-Kalibrierungsmethoden.

"Wir sind besonders stolz auf die Tatsache, dass wir uns nicht auf die Identifizierung von Bottom-Quarks in diesen Ereignissen verlassen. Dies erlaubt uns, unsere Analyse in Zukunft für die bekanntermaßen schwierige Bottom-Tagging-Kalibrierung in Schwerionenkollisionen zu verwenden, die für zukünftige Messungen der zeitlichen Entwicklung des Quark-Gluon-Plasmas notwendig ist", erklärt Matthias Schott.

Die Physikerinnen und Physiker des ATLAS Experimentes haben die Top-Quark-Paar-Produktionsrate – den "Wirkungsquerschnitt" – mit einer relativen Unsicherheit von 31 % gemessen. Die Gesamtunsicherheit ist in erster Linie auf die limitierte Größe des Datensatzes zurückzuführen, was bedeutet, dass zukünftige Schwerionen-Daten die Präzision verbessern werden. Die ATLAS Forscherinnen und Forscher haben ihre neue Messung auch mit theoretischen Vorhersagen und früheren Messungen des CMS-Experiments verglichen, wobei eine gute Übereinstimmung festgestellt wurde.

Schott weiter: "Ein bedeutender Teil dieser wichtigen Arbeit wurde von Patrycja Potepa im Rahmen ihrer Doktorarbeit durchgeführt, und wir bereiten bereits zukünftige Messungen vor, bei denen Promovierende und Masterstudierende der Universität Bonn sich auf die Untersuchung des Zerfalls eines Top-Quarks in zwei andere Quarks konzentrieren werden. Dies erlaubt uns, einen ersten Blick auf die zeitliche Entwicklung des QGP zu werfen und grundlegende Eigenschaften des frühen Universums zu verstehen."

Prof. Dr. Matthias Schott
Physikalisches Institut
University of Bonn
Tel. +49 228 73-2341
E-mail: mschott@uni-bonn.de

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